Baba Yaga
Wilde Frau
"Ich gehe durch den Wald und spreche vertraut mit den Tieren.
Ich tanze Barfuss im Regen, nackt und frei.
Ich reise auf Pfaden, die ich selber erschaffe, und so, wie es mir gefällt.
Meine Instinkte sich wach und glasklar, meine Intuition und mein Geruchssinn alles durchdringend.
Frei zeige ich meine Lebendigkeit, meine reine übersprudelnde Fröhlichkeit zu meiner eigenen Freude.
Denn das ist meine Natur – so muss es sein!
Ich bin die wilde, fröhliche Lebenskraft – Kimm her und begegne mir. "
Baba Yaga, eine wilde slawische Göttin der Geburt und des Todes, ritt einst auf ihrem Mörser – einem aussergewöhnlichen harten Kessel, in dem mit einer Stössel Nüsse, Korn und anderes zermahlen wurden – durch die Lande. Mit ihrer wilden und rauen alles durchdringenden Art trennte sie die Spreu vom Weizen, machte alles Überflüssige dem Erdboden gleich. Ihr Haus stand auf Hühnerbeinen und tanzte durch die Gegend. Sie war ein Sinnbild für die Lebenskraft, wie sie das geerntete Korn in sich trägt. Deshalb war für sie die Zeit des Sterbens auch der Herbst. In Russland wurde diese Göttin zu bösen Hexe umgedeutet, die tief im Wald lebt und Menschen verschlingt. Wer sie aber achtet und von ihrem unschönen Antlitz absieht, dem wird sie helfen.
Baba Yaga fliegt auf ihrem Mörser in dein Leben, um dich wieder in Kontakt mit deinem wilden Frausein (bei Männern die weiblichen Aspekte) zu bringen. Verbinde dich jetzt wieder mit dem Natürlichen, dem Ursprünglichen, dem Instinktiven. Schüttle dein Haar, lockere deinen Körper, kremple dein Leben um!
Hast du deine wilde Frau in den Kerker verbannt?
Hast du sie in Ketten gelegt, mundtot gemacht, eingesperrt?
Und das alles nur, damit die Leute dich nett, niedlich oder ordentlich finden?
Befreie sie! Du brauchst sie! Sie ist in deiner Freude, deiner Lebendigkeit, deiner Kreativität. Sie ist du, und du brauchst jeden Teil von dir, um in deiner Ganzheit zu tanzen. Baba Yaga erinnert dich, wie wichtig es ist, diesen „wilden“ Teil von dir zu integrieren, denn ausgegrenzt kann er selbstzerstörerisches Verhalten verursachen. Die ursprüngliche wilde Kraft muss sich ändern – und du entscheidest, ob sie zerstörerischen oder kreativen Ausdruck findet.
Ein uralter Kult?
Die Baba Yaga könnte auch ein Teilaspekt eines sehr urwüchsigen, matriarchalen Kultes einer Muttergöttin sein. In einigen Märchen wird davon gesprochen, dass die Baba Yaga noch zwei Schwestern habe: es handele sich um eine Jungfrau und eine Mutter. Jungfrau, Mutter, altes Weib – diese „Dreifaltigkeit“ verweist wahrscheinlich auf ein und dieselbe Muttergottheit, deren Kult heute aber kaum noch zu rekonstruieren ist. Die drei Schwestern sind existenziell aneinander gebunden (!). Stirbt eine von ihnen durch Feuer oder ein Schwert, besprenkelt das alte Weib Yaga sie mit dem Wasser des Todes, wodurch die Wunden wieder heilen. Sie ist damit die Hüterin des Wassers des Lebens und des Todes – man könnte somit auch von einer Totengöttin sprechen. Ähnliche Hinweise auf den Kult einer Muttergöttin gibt es übrigens auch in Bezug auf die Frau Holle.
Oft wird das oben genannte Häuschen auf Hühnerbeinen als Hütte ohne Eingang beschrieben. Es dreht sich nur bei einem bestimmten Codewort um und hat dann eine Eingangstür. Manchmal heißt es sogar, dass ihre Hütte auf den Beinen laufen kann und sie damit die sterbenden Menschen verfolgt und schließlich zu sich holt.
Selten unternimmt Baba Yaga Ausflüge. Dabei reitet sie entweder auf einem eisernen Ofen, der auf Hühnerbeinen läuft oder fliegt auf einem Mörser, den sie mit dem Mörserstössel lenkt. Immer verwischt sie ihre Spuren mit einem Besen, damit niemand weiß, woher sie kommt und wohin sie fliegt. Baba Yaga trägt den Beinamen Kostianaja Noga das heisst „knöcherne Beine“.
Der Gebrauch des Besens und des Mörsers sowie ihr eigenartiges Hühnerbein-Haus weisen darauf hin, dass sie früher eine Totengöttin war, die die Toten in die Nachwelt begleitet hat. Die SlawInnen haben zur Bestattung ihrer Toten rundherum türlose Hütten auf hühnerbein-ähnliche Stelzen errichtet und auch Besen bei dem Bestattungsritual verwendet. Mag uns die Verfolgung von Sterbenden durch Baba Yaga im ersten Moment erschreckend und grausam erscheinen, so hat diese Vorstellung bei näherer Betrachtung etwas sehr tröstliches.
Die Göttin geleitet Sterbende sicher und sanft in ihr „letztes Haus“, dessen Form nicht von ungefähr einer Gebärmutter ähnelt. Man erzählt über sie, dass alle, die sich ihrem Anwesen nähern, so erschrecken, dass sie das Weite suchen, nicht zuletzt, da von ihr die Mär umgeht, dass sie kleine Kinder fressen soll (Hänsel und Gretel). Auch das hat seine Berechtigung. All jene, deren Zeit noch nicht gekommen ist, haben in diesem Totenhaus auch nichts verloren.
Neben dieser fast dämonischen Erscheinung tritt Baba Yaga auch als helfende Gestalt auf, die gute Ratschläge erteilt oder kostbare Geschenke macht. Wer sich ihr beherzt stellt, soll reich belohnt werden. Jene, die furchtlos genug sind, um sich ihr zu nähern, soll sie aber ganz schwierige Aufgaben stellen (vgl. Frau Holle , die auch Aufgaben stellt). Erfüllt man diese Aufgaben zu ihrer Zufriedenheit (und sie hat da ganz eigene Maßstäbe), erhält man Geschenke.
Wildheit und Unabhängigkeit
Meist wird Baba Yaga jedoch mit dem schwarzen Aspekt also den Lebensphasen Menopause, Alter und Tod zuweilen auch als Verkörperung des Winters assoziiert. Dies vielleicht auch deshalb, weil einer der wichtigsten Eigenschaften dieser Göttin Wildheit und Unabhängigkeit ist. Etwas, das Frauen oft erst im dritten Lebensabschnitt verwirklichen.
Baba Yaga als Inbegriff der „Schwarzen Göttin“ steht für Frauen, die unabhängig von den Wünschen und Sehnsüchten der Jugend und des Menschen auf der Höhe seiner physischen Kraft sind. Sie haben den Überblick und wissen die Dinge einzuordnen und im Hinblick auf die Zukunft zu bewerten. Oft haben sie damit nicht nur Weisheit sondern auch die Gabe des „Wahren Sagens“ und „Hellen Sehens“.
Verwandlung und Transformation
Sie erinnert die Menschen daran, dass ihr Leben, ihre Wünsche und Vorstellungen vergänglich sind und sie davon loslassen müssen, um in einen neuen Seinszustand eintreten zu können.
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Deshalb tritt Baba Yaga immer dann in Erscheinung, wenn es um Übergänge geht, den Tod oder Entwicklungs- und Identitätskrisen, Veränderung, schicksalhafte Ereignisse
und Erschütterungen im Leben.
Begeben sich Menschen in diesem Moment unter die Leitung von Baba Yaga, so kann durch eine Verwandlung oder Transformation ein völlig neuer und erweiterter Seinszustand eintreten. Diejenigen aber, die ihre Macht und Weisheit nicht huldigen, wird Baba Yaga wie ein Schrecken verfolgen und ihnen am Ende alles nehmen, was sie zu besitzen vermeinten. So wird ihr nachgesagt, dass sie Menschen zerstören oder erleuchten kann. Doch es ist immer der einzelne Mensch, der die Entscheidung für sich trifft.
Vielfach wird Baba Yaga auch die „Alte Frau des Herbstes“ genannt. Man glaubt, dass sie in der letzten Garbe des geernteten Getreides haust. Eine andere Variante des Mythos besagt, dass sie in dem letzten Getreidekorn der eingebrachten Ernte lebt und jene Frau, die dieses und damit Baba Yaga isst, im Frühling ein Kind bekommen würde. Sie ist damit ein Sinnbild für die Lebenskraft,
wie sie das geerntete Korn in sich trägt.
Der herbstliche Tod auf dem Kornfeld führt zur Wiedergeburt im nächsten Frühjahr. Interessant ist auch der Mörser, auf dem Baba Yaga reiten und mit dessen Stössel sie rudern soll. Ein Mörser ist ein außergewöhnlich harter Kessel, in dem Nüsse, Korn und anderes zermahlen werden. Mit ihrer wilden und rauen, alles durchdringenden Art trennt Baba Yaga die Spreu vom Weizen, machte alles Überflüssige dem Erdboden gleich.
Das Christentum begann im Mittelalter die heidnischen Sagen abzuwerten, so unter anderem auch die mythische Gestalt der Baba Yaga. Heilkundige Frauen und Göttinnen auf die sich Menschen beziehen, von denen sie Rat holen, mit deren Hilfe sie Rituale wie z.B. Bestattungen vollziehen, waren natürlich für die christliche Kirche eine große Konkurrenz. Frauen, die als Hexen verteufelt wurden (und werden), sind Menschen, die tiefgreifend mit ihrem eigenen Selbst, mit anderen Menschen und der Erde verbunden sind. Leidenschaft, Lebenslust und Lachen sind ihre Medizin. Sie wehren sich gegen alles, was sie von der Fülle des Lebens abschneidet. Ihre Ratschläge und ihre spirituelle Begleitung kommen aus tiefer Lebenserfahrung und ihren lebensbejahenden Gefühlen. All das konnte die christliche Inquisition (und können noch immer viele Vertreter der patriarchalen Gesellschaft) nicht aushalten. So wurde aus der machtvollen, klugen alten Frau eine böse, unheimliche Gestalt, die mit dem Teufel im Bunde steht. Teilweise wird sie sogar als die Großmutter des Teufels bezeichnet.
Baba Yaga wird damit zum Prototyp der Hexe, wie sie in vielen Märchen vorkommt. Paradoxer Weise hat sie mit diesem Image über die Jahrhunderte gut überlebt und ist damit eine der lebendigsten Göttinnen. Wer weiß, ob sie ohne die Verbannung in die Gruselgeschichten und Märchenbücher so vital überlebt hätte.
Wenn man Märchen unvoreingenommen liest, wird man entdecken, dass die Hexe – der Schatten – immer der Auslöser für Veränderung ist. Ohne sie gäbe es kein Happy End.
Einladung an die weibliche Urkraft in ihrer ganzen Wildheit
Baba Yaga ist zwar nicht die „böse Hexe“, wie sie im (Märchen-)buche steht, die nur Böses will und kleine Kinder frisst. Mit der Kraft von Baba Yaga ist dennoch nicht zu scherzen. Wenn Frauen diese Göttin rufen, muss ihnen klar sein, dass sie sich eine große Portion weiblicher Urkraft in ihrer ganzen Wildheit, Unabhängigkeit und Kompromisslosigkeit einladen.
Mit dieser Kraft macht man allerdings keinen Frühlingsspaziergang. Baba Yaga prüft und stellt schwierige Aufgaben. Sie fragt Frauen, was sie aus ihrem Leben bisher gemacht haben. Sie bohrt weiter und erforscht, was sie bedauern würden, nicht er- und gelebt zu haben, sollte nun die Stunde ihres Todes sein. Sie fordert Frauen auf, sich von anderen Menschen, gesellschaftlichen Konventionen und Urteilen unabhängig zu machen und ihr weibliches Urwissen zu erspüren, ihre Urinstinkte einzusetzen. Dies fällt erfahrungsgemäß im Großstadtdschungel schwerer als in der Natur. Um der Kraft von Baba Yaga zu begegnen, wirkt z.B. eine Nacht im Wald oft Wunder. Hier können wirklich neue Sichtweisen entstehen (besonders bei eingefahrenen Situationen und Gedankengängen), hier können Frauen Abgestorbenes und nicht mehr Aktuelles loslassen (und auch gleich rituell vergraben).
Jeder Mondstrahl durch Baumkronen, jedes Rascheln im Unterholz, jeder Käuzchenruf, jede Berührung der nackten Fußsohlen mit weichem Moos erweckt die „Wilde Frau“ in einer jeden, die von Baba Yaga beschenkt werden möchte.
Hühnerkralle als Schutz
Zuletzt noch ein Tipp, mit schönem Gruß von Baba Yaga: Getrocknete Hühnerkrallen halten die Menschen nicht nur von Baba Yagas Hütte fern. Sie sind für Frauen nach wie vor ein guter Schutz. Zieht eine Frau in einer Gefahrensituation eine Hühnerkralle aus der Tasche und fängt sich damit z.B. dämonisch kirchernd zu kämmen an, wird es den meisten Männern ziemlich mulmig.
Denn kaum etwas ist bedrohlicher, als eine „verrückte Alte“. Hühnerkrallen sind mit ihren spitzen Zehennägel recht brauchbare Verteidigungswaffen, müssen meist aber gar nicht eingesetzt werden, weil die Baba Yaga-Hühnerbein-Magie ohnehin schon reicht.
Auch ein Haus oder eine Wohnung, an dessen Türklinke eine getrocknetes Hühnerbein hängt, schreckt Einbrecher mindestens genauso gut wie eine hochtechnische Alarmanlage ab.
Räuchermischung
zu Ehren Baba Yaga
Holunderrinde, Beifusskraut, Angelikawurzel, Wacholcherbeeren, Zimt, Benzoe, Olibanum
Quellenangaben
der-eibenreiter.de
Göttinen Geflüster Amy Sophia Maraschinsky / Hrana Janto
artedea.net
Räuchermischung Timea Vogler